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Am 4. und 5. März versammelten sich 30 Stunden non-stop Programmiererinnen, Schriftsteller, Künstlerinnen, Verleger, Designer, Studierende, Bankiers, Whistleblower und weitere Kunstbotschafterinnen im Cabaret Voltaire in Zürich. Und online: auf www.dada-data.net

Sie kamen aus ganz Europa, und von weiter noch. Manche waren in Argentinien, New York und Bukarest ins Flugzeug gestiegen, andere kamen aus Paris, Marseille oder Montpellier. Ihr Ziel: gemeinsam ein digitales Dada-Manifest herzustellen. Die letzte Hacktion feierte am Samstag Abend mit dem Konzert der Dead Brothers ihr Finale.

Schauen Sie in wenigen Tagen wieder vorbei, wenn die Videos der Präsentationen der digitalen Dada-Manifeste parat sind.

 

Dada und
das Manifest

„Ich schreibe ein Manifest und ich will nichts, trotzdem sage ich gewisse Dinge und bin aus Prinzip gegen Manifeste, wie ich auch gegen Prinzipien bin.“

Tristan Tzara, Dada-Manifest, 23. März 1918

Dada

1916

DADA-Manifesto

Rudolf Kuenzli
International Dada Archive
University of Iowa

Im Unterschied zu den futuristischen Manifesten, die ein klares Programm aufweisen, warfen die Dada-Manifeste sämtliche Definitionen, logische Zusammenhänge und Gewissheiten über den Haufen. Die Dadas fragten selbst danach, was Dada eigentlich sei, und führten neugierige Journalisten gerne mit suggestiven Antworten in die Irre: Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Feuerversicherung? Eine Staatsreligion? Energie? Oder gar nichts, und damit eben auch alles? Und wenn das der Fall ist, wie schreibt man dann ein Manifest über gar nichts? Diese Frage stellt Tristan Tzara in seinem „Dada Manifesto 1918“, in dem er erklärt, dass er ein Manifest schreibt, aber gar nichts fordert, und dass er zwar bestimmte Dinge sagt, aber im Grunde gegen jegliche Manifeste und Prinzipien ist. Tzaras Strategie besteht darin, sich selbst ständig zu widersprechen, um ja nichts Endgültiges zu sagen. Diese Gleichsetzung von allem mit allem führt letztlich zur Aufhebung jeglicher Identität: zwei ist fünf, Hosen sind Wasser. Diese Auflösung von Logik und Identität ist in allen Dada-Manifesten zu finden. Walter Serners Manifest mit dem genialen Titel „Letzte Lockerung“ endet mit einem völlig sinnfreien Absatz, und auch Hans Arps „Manifeste du Crocodarium Dada“ ist entsprechend irrational. Tzara schlägt sogar vor, sinnfreie Dada-Texte zu erzeugen, indem man die normale Umgangssprache buchstäblich zerschneide: Man nehme einen Zeitungsartikel, schneide willkürlich Worte aus, rüttle sie in einer Papiertüte gründlich durch und füge sie in der Reihenfolge aneinander, in der man sie aus der Tüte zieht. Der Künstler legte seinem Manifest sogar einen Text bei, den er in dieser „neuen“ Sprache erstellt hatte. Das Ziel dieser Manifeste und ihres anarchischen Nonsens war letztlich, die konventionellen Werte und Bedeutungen zeitgenössischer Kultur infrage zu stellen.

 

Dada

2016

RetroDada-Manifesto

McKenzie Wark
Autor von „A Hacker Manifesto“ und „Gamer Theory“
Professor für Medienwissenschaft und Cultural Studies an der New School University in New York.

RetroDada beginnt mit Abscheu. Die Welt hat mal wieder ihren Krieg. Manche Städte werden von Kampfflugzeugen angegriffen, andere mit Kunstmessen bombardiert. Diesmal gibt es keine neutrale Schweiz mehr, in der sich die Flüchtlinge die Beine in den Bauch stehen. Jetzt läuft die ganze Erde heiß. Und der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Doch bevor wir zwei Schritte nach vorn gehen, werfen wir einen Blick zurück. Einhundert Jahre zurück – in die Zeit des ersten Kriegs, der eine Nummer erhielt. Auf die Geburtsstunde der dadaistischen Abscheu und die tiefe Ablehnung dessen, was aus diesem Jahrhundert noch werden sollte. Warum sollte ein GIF nicht auch rückwärts laufen können? Es ist Zeit für RetroDada! Im Prinzip ist RetroDada gegen Manifeste, aber es ist auch gegen Prinzipien. Hier geht also nichts mehr.

Wie Welt steckt voller Irrungen, doch am schlimmsten ist die Kunst, die geschaffen wird. Die Kunst schenkt uns Dantes Inferno, als sei es das Werk eines Innenarchitekts. RetroDada will weder der Kunst noch der Anti-Kunst gefallen; es will niemandes Herren dienen. Wir bereiten dem Schauspiel ein Ende und ersetzen es durch weltumspannendes Gelächter. Letztlich ist alles Scheiße – doch wir scheißen fortan in neuen Farben.

Die Psychoanalyse ist selbst eine Krankheit. Sie lässt den Kleinbürger interessant erscheinen. Ethik sorgt für Verkümmerung; wie jede Seuche, die vom Verstand herrührt. Die Theorie führt uns im Kreis zu den Vorurteilen zurück, die am Anfang unserer Überlegungen standen. Was wir brauchen sind Werke, die gleichzeitig sanft und konkret und ewig unverständlich sind. Es gibt viel Anti-Arbeit zu tun.

RetroDada ist unsere Stärke. RetroDada ist für und gegen Einigkeit. RetroDada schafft ihre eigenen Ursachen ab. RetroDada lehnt ihre eigene Nachfolgerschaft ab. RetroDada ist ein krampfhafter Erguss, als brate man ein Handy in der Mikrowelle. RetroDada ist eine Gottheit untersten Ranges. RetroDada hat keine Theorie. Davon gibt es an den Kunstschulen genug. Wir lieben die alten Dinge, weil sie so frisch sind.

So erstellt man ein RetroDada-Manifest: Ein oder zwei Dada Manifeste nehmen und die besten Passagen kopieren. Sie in eine Datei packen und ein bisschen umherschieben. Und an ihnen wachsen. Jedes Manifest ist so wie sein Verfasser. Und was die Intelligenz angeht – die liegt auf der Straße.

RetroDada arbeitet mit aller Kraft daran, überall den Idioten einzuschleusen. RetroDada ist Wagniskapital zur Ausbeutung fremder Ideen. Gott kann sich Misserfolge leisten. RetroDada auch. Das ist ein Luxus, den man mit Geld nicht bezahlen kann. RetroDada widmet sich nichts, weder der Arbeit noch dem Spiel. RetroDada verführt jeden mit seiner eigenen Idee.

RetroDada ist Stand-up Comedy und Totenmesse zugleich. RetroDada vertraut nur der situativen Aufrichtigkeit. RetroDada kämpft gegen den Thanatizismus der Gegenwart. RetroDada entwickelt die Plastizität des Digitalen. Kunst, Literatur und Kino sollten kostenlos sein. Das Medium ist so unwichtig wie wir. Nur die Form spielt eine Rolle. Das Material ist beliebig.

RetroDada ist ein theoretisches Virus. RetroDada bedeutet, sich von den Ereignissen überrollen zu lassen. Ja zu sagen zu einem Leben, das zur Verneinung strebt. RetroDada will nicht zeitgenössisch sein mit all diesem Scheiß. RetroDada führt die Kunst und den Alltag wieder ein, damit sie in dunklen Nebenstraßen schwulen Sex haben. RetroDada ist die Staatenlosigkeit des Verstandes. RetroDada ist gegen stilvolle Ordnung, aber auch gegen die stilisierte Unordnung der zeitgenössischen Ästhetik. Wir sind überzeugt von der Willkür und der Falschheit dieser armseligen Schöpfung, unserer Welt. Unbelastet blicken wir in ihre Höhen und Tiefen.

Lasst uns nur von den Besten stehlen, und zwar von ihren Handlungen, nicht von ihrem Stil. Die klangvolle Sophie Taeuber, der paukenschlagende Richard Huelsenbeck, der großartige Hugo Ball, die mystische Emmy Hennings, der heizerische Tristan Tzara, der ironische Hans Arp, der dadasophische Raoul Hausmann, die rasende Hannah Höch und Baroness Elsa mit ihrem Kanarienvogel. Lasst uns nehmen, was sie uns vermachten, und nicht das, was sie fallenließen. Musik, Tänze, Theorien, Manifeste, Gedichte, Gemälde, Kostüme, Masken. Um sie neu zu beginnen, ganz von vorn.

Dada hat viele westliche Schicksale ereilt. Ich habe schon alles ausprobiert, wir müssen es also nicht mehr tun. Arthur Cravan wurde zur Legende. Mina Loy wurde Dichterin. Marcel Duchamp wurde zum Wegbereiter der zeitgenössischen Kunst. Hugo Ball wurde strenggläubiger Katholik. Emmy Hennings wurde zur protestantischen Mystikerin. Hannah Höch schrieb ein Kinderbuch über Mischwesen aus Pflanze und Tier. Richard Huelsenbeck wurde Therapeut. Tristan Tzara wurde Kommunist. Marcel Janco kehrte in den Orient zurück. Baroness Elsa verstarb in Armut und geistiger Umnachtung. Jacques Vaché beging Selbstmord, bevor alles so richtig begann.

Wer dieses Manifest unterstützt, ist RetroDada! Wer dieses Manifest ablehnt, ist RetroDada! Wer dieses Manifest unterstützt und es gleichzeitig ablehnt, ist RetroDada! Wer dieses Manifest weder unterstützt noch ablehnt, ist RetroDada! Es gibt keinen Ausweg aus der Geschichte, die es ungeschehen zu machen gilt.